Elektrotechnik: Mittelspannungsschaltanlagen
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Mittelspannungsschaltanlagen
Eine Mittelspannungsschaltanlage ist als komplexes Gesamtsystem zu verstehen, bei dem technische, sicherheitsrelevante und organisatorische Aspekte ineinandergreifen. Die Einhaltung aller relevanten Normen, ein durchdachtes Redundanzkonzept (Ringanbindung und n-1-Prinzip), eine angemessene Druckentlastung sowie umfassende Maßnahmen zum Brand-, Umwelt- und Personenschutz sind unabdingbar. Sorgfältige Dokumentation, regelmäßige Wartung und ein integriertes Last- bzw. Energiemanagement garantieren einen zuverlässigen und wirtschaftlichen Dauerbetrieb. So bleibt die Energieversorgung stabil und flexibel anpassbar an künftige Anforderungen, wie beispielsweise wachsende Lasten, E-Mobilitätsinfrastruktur oder digitale Vernetzung.
Normen und Richtlinien
- Normen
- Schaltanlagenkonzept
- Einspeisung
- Druckentlastung
- Transformatoren
- Schutz
- Redundanz
- Kurzschlussfestigkeit
- Potenzialausgleichskonzept
- Explosionsschutz
- Ventilation
- Mechanische
- Ölmanagement
- Überspannungsschutz
- Mess
- Instandhaltung
- Notstromversorgung
- Dokumentation
Relevante Normen und Vorschriften für elektrische Anlagen
DIN-VDE-Bestimmungen: Insbesondere die DIN VDE 0101 (Planung von Hochspannungsanlagen), DIN EN 61936-1 (Errichtung von elektrischen Anlagen mit Nennspannungen über 1 kV) und DIN EN 50110-1 (Betrieb von elektrischen Anlagen) gelten als Grundlage.
Technische Anschlussbedingungen (TAB): Die jeweils gültigen Vorschriften und Richtlinien des örtlichen Energieversorgungsunternehmens (EVU) sind zu beachten.
Weitere Regelwerke: Abhängig vom Standort können zusätzliche Vorschriften z. B. aus dem Baurecht, Brandschutzrecht oder Arbeitsschutzrecht gelten.
Schaltanlagenkonzept für Gebäude und Industrie
Anzahl und Aufstellungsort: Häufig werden zwei räumlich getrennte Schaltanlagen eingesetzt, um eine Redundanz zu schaffen und den Betrieb bei Wartungs- oder Störfällen aufrechtzuerhalten.
Isolationsmedium: In der Regel werden luftisolierte Schaltanlagen (AIS) eingesetzt; bei besonderen Anforderungen (z. B. platzsparende Ausführung) können auch gasisolierte Schaltanlagen (GIS) sinnvoll sein.
Ringanbindung: Ein Ringschluss zwischen den einzelnen Schaltanlagen erhöht die Versorgungssicherheit, da er ermöglicht, dass bei Ausfall einer Einspeisung eine andere die Last übernehmen kann.
Einspeisung und Übergabepunkt
Direkter Netzanschluss: Sofern das EVU zustimmt, kann auf eine separate Übergabeschutzstation verzichtet werden. Schutz- und Messfunktionen des Netzbetreibers werden dann direkt in der Schaltanlage umgesetzt.
Einspeisekabel: Üblich sind zwei Einspeisungen pro Anlage, je nach Leistungsbedarf und Anforderungen des Netzbetreibers. Kabelquerschnitte von 240 mm² oder größer werden in vielen Fällen genutzt.
Leistungsbedarf: Bei der Auslegung ist die Summe der Spitzenlasten (z. B. Gesamtlast > 7 MVA) zu berücksichtigen. Dazu kommen Reserven für Laststeigerungen und Redundanz.
Druckentlastung und Sicherheit
Druckentlastung im Störfall: Bei luftisolierten Schaltanlagen muss eine ausreichende Druckentlastung gewährleistet sein, z. B. über definierte Ausblaselemente (z. B. 3,50 m über FFB mit 45° Ausblasrichtung).
Personenschutz: Die Entlastungsöffnungen sind so zu planen, dass Personen im Ereignisfall (z. B. bei einem Lichtbogen) nicht gefährdet werden. Sicherheitsabstände und Absperrbereiche sind zu berücksichtigen.
Transformatoren in der Energieversorgung
Leistungsgröße und Anzahl: Abhängig vom Leistungsbedarf kommen mehrere Transformatoren zum Einsatz, z. B. 6 × 1.600 kVA für eine Last von ca. 7 MVA. Die Aufteilung in mehrere Einheiten erleichtert die Redundanz und Wartung.
Aufstellungsart: Transformatoren können in Trafoschutzgehäusen oder in separaten, speziell geschützten Räumen (Trafostationen) aufgestellt werden. Dabei gelten Anforderungen an Brandschutz, Ölschutz und Belüftung.
Doppelboden: Technikräume werden oft mit einem Doppelboden (z. B. 40 kN Tragfähigkeit, ≥120 cm Höhe) ausgestattet, um Kabeltrassen oder Lüftungskanäle flexibel zu verlegen und Wartungsarbeiten zu erleichtern.
Schutz- und Leittechnik
Schutzgeräte: Leistungsschalter, Lasttrennschalter und Sicherungen müssen für die erwarteten Kurzschlussströme ausgelegt werden. Konventionen wie Distanzschutz, Erdschlussschutz und Differenzialschutz sind zu prüfen.
Leittechnik: Moderne Schaltanlagen werden in der Regel an eine Fernüberwachung (z. B. SCADA-System) und Automatisierungslösungen angebunden. Zustandsdaten (Spannung, Strom, Leistung, Temperatur etc.) können so zentral gemanagt werden.
Selektivität: Die Abstimmung der Schutzgeräte über alle Spannungsebenen hinweg (Mittel- und Niederspannung) ist essentiell, um bei Fehlern nur den betroffenen Anlagenteil abzuschalten.
Redundanz und n-1-Prinzip
Vermaschung: Auf Niederspannungsseite werden die Transformatoren häufig über vierpolige Sammelschienen (z. B. 3.200 A) miteinander verbunden.
Ausfallszenario: Bei Ausfall eines Transformators kann die Versorgung über die verbleibenden Transformatoren aufrechterhalten werden. Auf Mittelspannungsebene sichert ein Ringschluss vergleichbar die Einspeisung.
n-1-Prinzip: Die Anlage ist so auszulegen, dass im Fehler- oder Wartungsfall eines Elements (Transformator, Einspeisekabel etc.) der Betrieb weitergeführt werden kann.
Kurzschlussfestigkeit von elektrischen Anlagen
Auslegung: Alle Komponenten (Schaltgeräte, Sammelschienen, Kabel) müssen hinsichtlich des Kurzschlussstroms und der Stoßstromfestigkeit ausgelegt werden. Die maximalen Werte ergeben sich in Abstimmung mit dem Netzbetreiber (z. B. 20 kA, 25 kA oder 31,5 kA).
Selektive Schutzabstimmung: Ein durchgängiges Schutzkonzept verhindert unnötige Abschaltungen großer Netzteile im Fehlerfall und erhöht die Betriebssicherheit.
Erdungs- und Potenzialausgleichskonzept
Fundamenterder und Tiefenerder: Sie bilden die Basis des Erdungssystems und sind nach VDE-Normen auszuführen.
Potenzialausgleich: Alle leitfähigen Teile (z. B. Metallgehäuse von Schaltanlagen, Kabeltrassen) sind in den Haupterdungspunkt einzubeziehen, um zulässige Berührungs- und Schrittspannungen einzuhalten.
Brand- und Explosionsschutz
Räumliche Trennung: Transformatorräume und Schaltanlagen sind oft baulich (F90/Brandabschnitte) voneinander zu trennen, um die Ausbreitung eines Brandes zu verhindern.
Brandschutzmaßnahmen: Ölauffangwannen, Rauch- und Wärmeabzugsanlagen und ggf. automatische Löschsysteme sind zu berücksichtigen.
Ex-Bereiche: Bei Vorliegen besonderer Bedingungen (etwa in Industriebetrieben) müssen Explosionsschutzvorschriften (ATEX) geprüft werden.
Ventilation, Kühlung und Schallschutz
Wärmeabfuhr: Transformatoren und Schaltanlagen erzeugen Verlustwärme, die durch ausreichend dimensionierte Lüftungs- bzw. Klimaanlagen abgeführt werden muss, um einen sicheren Betrieb zu gewährleisten.
Schallschutz: Transformatoren können beträchtliche Schallemissionen verursachen (Brummton). Maßnahmen wie Körperschallentkopplung oder Schallschutzhauben mindern die Geräuschübertragung.
Mechanische und logistische Aspekte
Zugänglichkeit: Türen, Transportwege, Gangbreiten, Kran- oder Hebeanlagen müssen so ausgelegt sein, dass Transformatoren und Schaltgeräte bei Wartung oder Austausch problemlos zugänglich sind.
Boden- und Deckenlasten: Die Tragfähigkeit der Aufstellräume ist an Gewicht und Dimension der Transformatoren sowie Schaltanlagen anzupassen.
Ölmanagement und Umweltschutz
Auffangwannen: Bei ölisolierten Transformatoren müssen ausreichend dimensionierte Auffangwannen und ggf. Leckagewarnsysteme vorhanden sein, um einen Umweltschaden zu vermeiden.
Alternative Isoliermedien: Trockentransformatoren oder Transformatoren mit umweltfreundlichen, schwer entflammbaren Esterflüssigkeiten werden immer häufiger eingesetzt.
Mess- und Lastmanagement
Energieerfassung: Messungen für verschiedene Verbraucher (z. B. E-Mobilität, Lüftungsanlagen, Kühlanlagen) ermöglichen ein professionelles Energiemanagement und eine genaue Verrechnung.
Lastüberwachung: Frühzeitige Erkennung von Lastspitzen unterstützt ein effizientes Lastmanagement, reduziert Kosten und trägt zu einem stabilen Anlagenbetrieb bei.
Wartung und Instandhaltung
Regelmäßige Prüfungen: Insbesondere Prüfungen nach DGUV Vorschrift 3 (in Deutschland) und vorschriftsmäßige Teilentladungsmessungen, Ölproben (bei ÖL-Trafos) sowie Sichtkontrollen erhöhen die Betriebssicherheit.
Wartungsverträge und Ersatzteillager: Vorhaltung von Ersatzteilen und geschultes Personal (oder extern beauftragte Services) gewährleisten schnelle Reaktionszeiten bei Störungen.
Notstromversorgung / USV
Sicherheitsrelevante Bereiche: Für besonders kritische Verbraucher (z. B. IT-Infrastruktur, Aufzugsanlagen, Sicherheitsbeleuchtung) kann eine Notstromversorgung (z. B. Dieselaggregat) oder eine USV-Anlage erforderlich sein.
Netz-Notstrom-Trennung: Beim Parallelbetrieb mit dem Netz ist für eine sichere Umschaltung zu sorgen, um Rückspeisungen und Fehlspannungen zu vermeiden.
Dokumentation und Beschilderung
Anlagenkennzeichnung: Sämtliche Schaltfelder, Abgänge und Räume sind eindeutig zu beschriften.
Betriebsanweisungen: Für das Betriebspersonal müssen verständliche Betriebs- und Wartungsanleitungen vorliegen. Dazu gehören Schaltpläne, Prüfnachweise und Gefährdungsbeurteilungen.
Sicherheitshinweise: Flucht- und Rettungspläne, Brandmeldepläne sowie Warn- und Gefahrenschilder sind an prominenten Stellen anzubringen.