Elektrotechnik: Niederspannungsschaltanlagen
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Niederspannungsschaltanlagen
Niederspannungsschaltanlagen (NS-Schaltanlagen) sind ein zentrales Element in der Energieverteilung von Gebäuden, industriellen Produktionsstätten und Infrastruktureinrichtungen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, elektrische Energie sicher und zuverlässig an nachgeordnete Verbraucher und Schaltkreise weiterzuleiten. Neben der reinen Energieverteilung übernehmen sie Schutzfunktionen (z. B. bei Kurzschluss oder Überlast) und ermöglichen die Überwachung des Stromnetzes (z. B. durch Mess- und Meldeeinrichtungen. Eine fachgerechte Planung, sichere Installation und lückenlose Dokumentation sind entscheidend, um Menschen, Anlagen und Gebäude vor elektrischen Gefahren und Betriebsstörungen zu schützen. Zu beachten sind Normen- und Vorschriftenkonformität (DIN EN 61439, DIN VDE 0100, DGUV und EU-Richtlinien), Sicherheitskonzepte (Selektivität, Fehlerstromschutz, Potentialausgleich, Brandfall- und Notfallkonzepte), zukunftsorientierte Planung (Reserven, modularer Aufbau, mögliche Nachrüstungen (Retrofit), Digitalisierung (z. B. Condition Monitoring, Remote-Zugriff)), Wartung und Lebenszyklus (Regelmäßige Inspektionen und Instandhaltung gemäß Normen verlängern die Lebensdauer und erhalten die Betriebssicherheit) sowie Anpassungsfähigkeit an Umfeld und Technik (Schutz gegen äußere Einflüsse (Temperatur, Feuchtigkeit, Staub), Einhaltung von Brandschutz- und EMV-Anforderungen, Integration in übergeordnete Leitsysteme).
Mit einem ganzheitlichen Blick auf alle relevanten Anforderungen erfüllen Niederspannungsschaltanlagen ihre Aufgaben sicher, zuverlässig und wirtschaftlich – sowohl in klassischen Gebäuden als auch in hochspezialisierten Industrieumgebungen.
- Grundbegriffe
- Betriebsweise
- Umgebungsbedingungen
- Erdungssysteme
- Schutzkonzepte
- Planung
- Brandschutzanforderungen
- Montage
- Inbetriebnahme
- Lebenszyklus
- Ausfallkonzepte
- Lastmanagement
- Dokumentation
- Arbeitssicherheit
- Gesamtkonzept
- Spezifikationen
Niederspannungsschaltanlagen (NS-Schaltanlagen)
Sammelbezeichnung für alle Schaltgeräte, Steuergeräte und zugehörigen Einrichtungen, die in Niederspannungsnetzen (üblicherweise bis 1000 V AC) zur Energieverteilung eingesetzt werden.
Dazu zählen Hauptverteilungen (NSHV), Unterverteilungen, Stromschienensysteme, Schaltschränke und Gehäuse mit Leistungsschaltern, Sicherungen, Überwachungs- und Steuergeräten.
Relevante Normen und Richtlinien
DIN EN 61439 (VDE 0660-600): Normreihe für Niederspannungs-Schaltgerätekombinationen; zentrale Anforderung an Konstruktion, Bau und Prüfung.
DIN VDE 0100: Normen für das Errichten von Niederspannungsanlagen, insbesondere Teil 410 (Schutzmaßnahmen gegen elektrischen Schlag) und Teil 540 (Erdung und Potentialausgleich).
DIN VDE 0105: Anforderungen an den Betrieb und die Instandhaltung elektrischer Anlagen.
DIN EN 60204-1 (VDE 0113-1): Elektrische Ausrüstung von Maschinen, relevant, wenn Maschinen in direktem Zusammenhang mit der Niederspannungsverteilung stehen.
EU-Richtlinien wie die Niederspannungsrichtlinie (2014/35/EU) und die EMV-Richtlinie (2014/30/EU) bilden die Grundlage für CE-Konformitätserklärungen.
Schutzziele
Personenschutz: Vermeidung von Stromunfällen (durch Fehlerstromschutz, Schutzerdung, sichere Gehäuse).
Sachschutz: Sicherstellung der Anlagenverfügbarkeit, Verhinderung von Schäden an Leitungen und Geräten bei Kurzschluss oder Überlast.
Brandschutz: Vorbeugung gegen Brände durch angepasste Schutzorgane, Kabelverlegung und ggf. Brandschotte.
Niederspannungshauptverteilung (NSHV)
Zentraler Einspeisepunkt für das gesamte Versorgungssystem eines Gebäudes oder einer Anlage.
Beinhaltet in der Regel: Hauptschalter (Lasttrennschalter oder Leistungsschalter),
Einspeise- und Messfelder (Strom, Spannung, Leistung, Energie),
Sicherungsfelder (NH-Sicherungen, Leitungsschutzschalter, Motorschutzschalter),
Reserven (z. B. leere Felder für spätere Erweiterungen).
Unterverteilungen (UV)
Stellen die Verbindung zwischen der Hauptverteilung und den Endstromkreisen her.
Enthalten weitere Sicherungen, RCDs (Fehlerstromschutzschalter) oder kleine Leistungsschalter für die lokalen Verbraucher.
Häufig modular aufgebaut, um bei Bedarf zusätzliche Stromkreise ergänzen zu können.
Stromschienensysteme (Busbar-Trunking-Systeme)
Alternative zu herkömmlichen Kabelinstallationen, besonders in industriellen Bereichen mit hohem Leistungsbedarf.
Bieten eine einfache Möglichkeit, große Ströme zu verteilen und ermöglichen flexible Anschlusspunkte (Tap-offs) für Maschinen und andere Verbraucher.
Klimatische Anforderungen
Die eingesetzten Komponenten müssen für die vorherrschenden Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsbereiche ausgelegt sein.
Bei hohen Temperaturen kann eine Zwangsbelüftung oder sogar Klimatisierung des Schaltschranks erforderlich sein.
In korrosiven oder staubigen Umgebungen sind entsprechende Filter, Dichtungen und Oberflächenbeschichtungen vorzusehen.
Mechanische Beanspruchung
Vibrationen und Stöße (insbesondere in industriellen Produktionsbereichen) erfordern eine robuste Konstruktion.
Schaltschrankgehäuse müssen ausreichend verwindungssteif sein und stabile Befestigungspunkte für Sammelschienen und Schaltgeräte bieten.
Schutzarten (IP-Schutz) und Schlagfestigkeit (IK)
Abhängig vom Einsatzort ist die Schutzart (z. B. IP54 oder IP65) zu wählen, um Staub- und Wassereintritt zu verhindern.
Im Außenbereich kann ein höherer Schutz gegen Feuchtigkeit und Spritzwasser notwendig sein.
Die IK-Klasse (z. B. IK10) spezifiziert den Widerstand gegen mechanische Einwirkungen.
Grundlegende Netzformen
TN-System (häufigste Form, mit Varianten TN-S, TN-C, TN-C-S): Der Neutralleiter und der Schutzleiter sind an bestimmten Punkten kombiniert oder getrennt geführt.
TT-System: Separater Erdanschluss des Verbrauchers, teils in ländlichen Gebieten.
IT-System: Fehlender direkter Sternpunktbezug zur Erde, häufig in Spezialanwendungen (Krankenhäuser, Labore).
Bedeutung der Erdung
Zentral für Personenschutz und Funktionalität des Schutzsystems (z. B. Auslöseverhalten von RCDs, Schutz bei Kurzschluss auf Gehäuse).
Der Schutzpotentialausgleich in den Schaltanlagen und Maschinen ist sorgfältig zu planen und dauerhaft zu prüfen (z. B. Erdungs- und Schleifenimpedanzmessungen).
Berührungsschutz
Minimierung des Zugangs zu spannungsführenden Teilen durch Abdeckungen, Klemmenabdeckungen und sichere Gehäuse.
Einhaltung mindestens IP2X (Finger- oder Handrückensicherheit) im Innenbereich der Schaltanlagen.
Abgestufter Überlast- und Kurzschlussschutz (Selektivität)
Sorgt dafür, dass nur der betroffene Anlagenteil beim Fehler abschaltet, während andere Bereiche weiter versorgt bleiben.
Erreicht durch abgestimmte Auslösekennlinien von Leistungsschaltern und Sicherungen (z. B. Zeit- oder Stromselektivität).
Fehlerstromschutz (RCD)
Wesentlicher Bestandteil des Personenschutzes, schaltet innerhalb von Millisekunden bei geringfügigen Differenzströmen (z. B. 30 mA) ab.
In industriellen Anwendungen wird RCD-Schutz auf kritische Bereiche begrenzt (z. B. Steckdosen, Handgeräte), um ungewollte Auslösungen bei großen Anlagen zu vermeiden.
Last- und Leistungsbedarf
Ermittlung der maximalen Anschlussleistung und die Berücksichtigung von Leistungsreserven für künftige Erweiterungen.
Berechnung der erforderlichen Querschnitte für Kabel und Stromschienen anhand von Stromtragfähigkeit, Spannungsfall und Kurzschlussbeanspruchung.
Kurzschlussberechnung
Bestimmung der zu erwartenden Kurzschlussströme (I_k) am Einspeisepunkt und in nachgelagerten Verteilern.
Auslegung der Schaltgeräte und Sammelschienen auf die höchste auftretende Strombelastung (z. B. 25 kA, 50 kA, 70 kA je nach Netz).
Brandschutz und Brandfallsteuerungen
Integration in das Brandschutzkonzept (Brandschotte, Funktionserhalt von Kabeln, automatische Abschaltung nicht benötigter Anlagenteile).
Bei großen Anlagen: Erstellung einer Brandfallsteuermatrix (u. a. Schließen von Brand- und Rauchschutztüren, Abschaltung von Lüftungsanlagen).
Funktionserhalt von Leitungen (E30/E90)
In kritischen Bereichen, z. B. für Sicherheitsbeleuchtung, Brandmeldeanlagen oder Rauch- und Wärmeabzugsanlagen, müssen Leitungen den Funktionserhalt für eine bestimmte Zeit gewährleisten.
Entsprechende Kabeltypen und Installationsarten sind erforderlich (Brandschotts, Brandschutzkanäle).
Mechanischer Aufbau
Solide Unterkonstruktion, sichere Befestigung der Schränke und Trägerkonstruktionen.
Schienen- und Kabeltrassen so planen, dass sie ausreichend Tragreserven besitzen und die Wärmeabfuhr nicht behindern.
Werksprüfungen (Factory Acceptance Test, FAT)
Vor Auslieferung einer Schaltanlage kann eine Prüfung beim Hersteller erfolgen.
Überprüfung der korrekten Verdrahtung, Funktions- und Sichtkontrollen, Prüfung der Zertifikate und Konformitätserklärungen.
Montageprüfungen (Site Acceptance Test, SAT)
Nach der Aufstellung vor Ort werden alle gesetzlichen und normativen Prüfungen durchgeführt: Isolationsmessung, Schleifenimpedanz, RCD-Funktionstest, Auslöseverhalten von Sicherungen und Leistungsschaltern.
Überprüfung der Beschriftungen, Kabelführung und Dokumentation.
Regelmäßige Wartung
Vorgaben gemäß DGUV Vorschrift 3 und DIN VDE 0105-100 (Wiederholungsprüfungen).
Sichtkontrollen, Reinigungen, Nachziehen von Schraubverbindungen, Funktionsprüfungen der Schutzgeräte.
Versorgungssicherheit
Redundante Einspeisungen (z. B. zwei Transformatoren oder Netzersatzanlagen) minimieren Ausfallrisiken.
Automatische Umschalteinrichtungen (ATS) ermöglichen einen schnellen Wechsel der Einspeisequelle.
Leistungsüberwachung
Integration von Messgeräten (Smart Meter, Power Analyzer) in Haupt- und Unterverteilungen.
Permanente Überwachung von Strom, Spannung, Frequenz, Oberwellenanteil, Leistung und Energieverbrauch.
Blindleistungskompensation
Einsatz von Kondensatorbatterien oder aktiven Filtern zur Verbesserung des Leistungsfaktors.
Reduziert Netzbelastungen und Stromkosten.
Planungs- und CAE-Software
Nutzung von CAE-Tools (z. B. EPLAN, RUPLAN) für Stromlaufpläne, Kabel- und Stücklisten.
Implementierung von Selektivitäts- und Kurzschlussberechnungen in digitale Planungsmodelle.
Arc-Flash-Betrachtung (Störlichtbogenschutz)
In Anlagen mit hohen Kurzschlussströmen sind besondere Vorsichtsmaßnahmen gegen Lichtbögen erforderlich.
Festlegung von Schutzausrüstung (z. B. Lichtbogenschutzkleidung), Kennzeichnung von Gefahrenzonen.
Gebäudeleittechnik (GLT) / Facility Management
Kommunikation zwischen Schaltanlagen und zentralen Leitsystemen (z. B. BACnet, Modbus, KNX, OPC UA).
Erfassung von Zustands- und Störmeldungen, Energieoptimierung über das gesamte Gebäude.
Länderspezifische Anforderungen
UL 508A (USA), CSA (Kanada), IEC-Varianten weltweit, zusätzliche Prüfzertifikate oder abweichende Spannungsebenen (z. B. 480 V in den USA).
Sprachliche und normative Anpassungen der Dokumentation.